Foto oben: Vierhändige Power am Piano: die beiden Chorleiter Stefan Aaron (li.) und Michael Armann beim umjubelten Zugabelied Oh Happy Day 

Ein ungewöhnliches Konzertformat mit zwei hochmotivierten Chören aus Landsberg und München in der vollbesetzten Kirche Maria am Wege in Windach 

Reife Stimmen – junger Groove

WindachMit einem salomonischen Urteil endete sie – und darum hatte an diesem Abend niemand das Gefühl, »nur« Zweiter zu sein: Die erste »Chor-Battle« in der Geschichte der Gospelmusik in der Windacher Autobahnkirche Maria am Wege mündete vor über 350 Besuchern in ein geradezu frenetisch bejubeltes Unentschieden zwischen dem Landsberger Senioren-Ensemble »The Sweet 60’s« und dem jungen Münchner Chor »Groove & Grace«.

Schon der Beginn des Abends machte deutlich, dass es sich um ein musikalisches Kräftemessen der ganz besonderen Art handelte: Beim Eröffnungs-Battle traten zunächst die beiden Chorleiter gegeneinander an. Stefan Aaron, Leiter von »Groove & Grace«, eröffnete am Piano singend mit dem Welthit »Hallelujah« und setzte damit die Messlatte hoch. Die Antwort von Michael Armann, der am Richard-Strauss-Konservatorium studiert hat und als einer der Top-Pianisten der Gospelmusik gilt, ließ nicht lange auf sich warten: sein Beitrag zum Auftakt-Battle war ein selbstkomponiertes musikalisches Inferno am Piano, das die Zuhörer von den Sitzen riss – virtuose Läufe, wuchtige Akkorde, spontane Wendungen: ein Feuerwerk pianistischen Könnens, das schon früh am Abend deutlich machte, welch hohes künstlerisches Niveau dieses Chor-Battle haben würde. Und so wurde die Windacher Autobahnkirche am letzten Oktobersonntag zum Schauplatz eines Konzertformats, das man sonst eher aus der Pop-Szene kennt: Zwei Protagonisten treten im Wechsel gegeneinander an, mit dem Publikum als Jury.

In 16 Songs lieferten sich die beiden Ensembles einen intensiven und zugleich herzlichen musikalischen Wettstreit – stilistisch breit gefächert von klassischem, mitreißendem Gospel über berührende Balladen bis hin zu energiegeladenen Spirituals. Dass es sich nicht um eine konkurrenzgetriebene »Casting-Show«, sondern um ein Fest der Chormusik handelte, war von der ersten Minute an spürbar: Beide Chöre begegneten sich künstlerisch auf Augenhöhe – mit ganz eigenem Klangprofil und jeweils unverwechselbarer Ausstrahlung. Bravourös moderiert wurde das zweistündige Chor-Battle vom eloquenten Sweet-60’s-Tenor Horst Steinberg, der mit viel Charme, Humor und großer Souveränität durch den Abend führte und dem Publikum die Besonderheiten der Stücke und der beiden Ensembles näherbrachte.

Der junge Münchner Chor »Groove & Grace« brachte mit seinem urban geprägten Sound und zwei exzellenten Solistinnen eine andere, aber ebenso überzeugende Facette moderner Gospelmusik in die Kirche. Seine Stärke lag besonders im groovenden Ensemble-Klang, der durch sehr genaue rhythmische Arbeit und ein feines Gespür für große dynamische Spannungsbögen geprägt war. Die Arrangements setzten häufig auf Call-and-response-Strukturen, solistische Einwürfe und mehrschichtige Chorsätze, die sich aus dem Fundament der Klavierbegleitung von Stefan Aaron kraftvoll nach oben aufbauten. Besonders in den Spirituals entfaltete der Chor eine mitreißende Bühnenpräsenz, die das Publikum hör- und sichtbar beeindruckte.

Dass dieses Chor-Battle nicht in Konkurrenz, sondern in gegenseitiger Wertschätzung endete, ist das Verdienst der beiden Chorleiter: Stefan Aaron, Top-Pianist, Sänger und Komponist, fungierte als musikalisches Rückgrat von »Groove & Grace« und als treibende Kraft am Klavier. Sein Spiel – von zart zurückgenommenen Balladen-Figurationen bis zu kraftvoll treibenden Gospel-Grooves – war stets am Gesang orientiert: Er atmete mit dem Chor, modellierte Dynamik und setzte kraftvolle rhythmische Akzente. – Michael Armann prägte den gereiften Klang der »Sweet 60’s« durch seine große Erfahrung in Klassik, Jazz und Gospel. Sein höchst virtuoses und zugleich sensibles Klavierspiel sowie seine chorische Feinarbeit spiegelten sich im warmen, dichten Klangbild des Senioren-Ensembles wider. Beide Leiter standen sinnbildlich für die künstlerische Bandbreite dieses Abends – und ihr pianistisches Auftakt-Duell war ein Glanzpunkt, von dem das Publikum noch auf dem Kirchhof nach Konzertende schwärmte.

Nach 16 Titeln voller Energie, Emotion und musikalischer Vielfalt war das Publikum gefragt: Wer sollte »Publikumssieger« dieses Abends werden? Die Antwort fiel so deutlich wie versöhnlich aus. Als zur finalen Applaus-Abstimmung gebeten wurde, brach ein Jubel los, der sich nicht mehr klar zuordnen ließ – der Beifall für beide Chöre verschmolz zu einem gemeinsamen, stehenden Applaus. Das Ergebnis: Ein salomonisches Unentschieden, das künstlerisch betrachtet kaum gerechter hätte sein können. Denn so unterschiedlich die Profile von »Sweet 60’s« und »Groove & Grace« auch sind – in einem waren sich beide Ensembles einig: in der leidenschaftlichen Hingabe an die Musik und der spürbaren Freude daran, Menschen mit Gospel und Spirituals zu berühren.

Die erste Chor-Battle in der Geschichte der Gospelmusik hat eindrucksvoll gezeigt, welches künstlerische und emotionale Potenzial in der Kombination aus ungewöhnlichem Konzertformat, außergewöhnlichem Klangraum, charismatischen Chorleitern und hochmotivierten Chören steckt. Statt eines »Siegers« im klassischen Sinn gab es an diesem Abend vor allem eines: Zwei Chöre auf Höchstniveau, zwei herausragende Pianisten und Chorleiter, ein Publikum, das sich begeistert als Jury zur Verfügung stellte und einen Konzertmoment, in dem Musik nicht trennte, sondern verband. Dieses frenetisch bejubelte Unentschieden dürfte kaum das letzte Kapitel gewesen sein: Das Publikum hat seine Zustimmung zu weiteren Chor-Battles in der Region bereits lautstark gegeben. 

Wolfgang Schmitz

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